Das polnisches Sprichwort „Musik beruhigt die Gemüter“ hat gleich mehrere Bedeutungen. Die erste: Musik ist eine gemeinsame Basis, auch wenn uns andere Dinge unterscheiden. Sie hilft uns, diese Unterschiede zu überwinden. Die zweite Bedeutung bezieht sich auf Stress oder Unsicherheit. Musik beruhigt uns, hilft beim Durchatmen, dabei, das Gleichgewicht wiederzufinden.
Die vergangenen zwei Jahre waren für uns alle nicht einfach. Die Pandemie war und ist dafür verantwortlich, dass wir alle einen Bereich in unserem Leben gefunden haben, der Ängste auslöst. Egal ob Gesundheit, Arbeit, Bildung, Lebenspläne oder Träume: Vieles schien in Gefahr. Und auch hier half und hilft die Musik – auch die Neoklassik.
Neoklassische Musik ist vor allem ein Sound voller Emotionen, in dem wir die Ruhe und Ausgeglichenheit finden, die in solchen Situationen umso wichtiger ist. Zahlreiche medizinische Studien belegen die positive Wirkung auf unsere Gesundheit. Seit vielen Jahren werden in Fachzeitschriften die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht, die die wohltuende Wirkung neoklassischer Musik auf Geist und Körper bestätigen. Dank ihr können wir nicht nur entspannen oder uns beruhigen. Wir können auch wirklich etwas für unsere Gesundheit tun.
Einer Studie der Universität Oxford zufolge kann das Hören dieser Art von Musik zur Senkung des Blutdrucks beitragen. Auch das Risiko von Herzkrankheiten geht zurück, resümiert der anerkannte Kardiologe Peter Sleight. Schließlich hilft die neoklassische Musik, körperliche und seelische Schmerzen zu lindern, etwa bei Depressionen oder Angstzuständen. „Musik beruhigt die Gemüter“.
Die Neoklassik-Szene hat sich in den vergangenen Jahren in Europa schnell und gut entwickelt. Junge und talentierte Künstler*innen verbinden bekannte Muster und Klänge mit einer frischen Vision und neuen Arten der Musikinterpretation. Neoklassik ist dabei weder banal, langweilig oder steril. Es ist nicht mehr die Musik, die den großen Konzertsälen vorbehalten ist, in die man nur mit Dresscode hereinkommt. Immer häufiger kann man sie auf Festivals hören, zwischen den Auftritten von Popbands, Rapper*innen oder einem DJ-Set. Hinter dem Klavier sitzen keine Damen in Kleidern oder Herren in Anzügen. Stattdessen junge Leute in Kapuzenpullis und Jeans. Sie sehen genauso aus wie wir.
Dieser Wandel ermöglichte es den Protagonist*innen der neoklassischen Musik, eine völlig neue Hörerschaft zu erreichen. Agnes Obel, Nils Frahm und Ólafur Arnalds hatten und haben damit großen Erfolg – und tragen dazu bei, dass sich die Welt an das Schaffen herausragender europäischer Komponist*innen erinnert. Frederic Chopin, vor 212 Jahren im polnischen Dorf Żelazowa Wola geboren, wäre stolz darauf zu sehen, wie diese jungen Künstler*innen mit Konventionen brechen, genau wie er es zu seiner Zeit tat. Chopins ganz eigener Spiel- und Kompositionsstil war anfangs umstritten. Warum? Er versuchte, klassische Formen neu zu interpretieren. Mit der Zeit wurde er als Virtuose, als „Poet des Klaviers“‚ anerkannt und vor allem dafür geschätzt, dass er es etablierte, klassische Musik zu Hause und nicht nur in großen Konzertsälen zu spielen und zu hören. Heute spricht man von ihm als einem der bedeutendsten Pianisten aller Zeiten, der die Musik für immer verändert und ihr einen großartigen, unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hat.
Die zeitgenössische europäisch Neoklassik ist ein starker Trend, der hervorragend mit Pop, alternativem HipHop und sogar elektronischer Musik koexistiert. Junge Künstler*innen wie Hania Rani, die polnische Königin des traumhaft-romantischen Minimalismus, oder der Deutsche Carlos Cipa – Virtuose bittersüßer nostalgischer Melodien –, Eydis Evensen, der isländische Zauberer mit den mitreißenden Liedern, und Federico Albanese, der italienische Meister des cineastischen und stimmungsvollen Klangs, gewinnen ebenso an Popularität wie die Stars der etablierten Genres. Dank ihnen wird die europäische Musiklandschaft immer vielfältiger und schöner.