Neuigkeiten

Musik & Nachhaltigkeit, Folge 4: DJs und das Klima, Gibt es eine Lösung ?

10 min read


Musik & Nachhaltigkeit, Folge 4: DJs und das Klima, Gibt es eine Lösung ?

Last Night A DJ Took A Flight.“ Die clevere Abwandlung des Titels des Indeep-Hits aus dem Jahr 1982 ist auch der Titel einer Klimastudie, die das Reiseverhalten von DJs und ihres damit verbundenen CO2-Fußabdruck untersucht, offenlegt und anprangert. Der 2021 veröffentlichte Bericht nimmt dabei die 1.000 Top-DJs unter die Lupe, die damals auf der Liste von Resident Advisor aufgeführt waren. Das Ergebnis: rund 51.000 Flüge pro Jahr – im Schnitt also einer pro Woche für jeden einzelnen von ihnen.

Das bedeutet, dass der CO2-Fußabdruck allein für die Flüge der Top-DJs dem Pressen von 25 Millionen Schallplatten oder dem jährlichen Stromverbrauch von etwa 20.000 Haushalten entspricht – eine erschreckende Zahl, die zeigt, dass nur ein/e erfolgreiche/r DJ einen ökologischen Fußabdruck hat, der so groß ist wie der von 80 Menschen.

Natürlich reisen DJs anders als Bands. Die fahren in der Regel mit dem Bus von Stadt zu Stadt und haben jede Menge Equipment dabei. DJs hingegen können ohne besondere logistische Schwierigkeiten am Freitag auf Ibiza, am Samstag in Berlin und am Sonntag in Helsinki auflegen – und tun dies auch oft. Ein Blick auf die Reisepläne belegt, dass solche Schedules inzwischen nahezu Standard sind – die Interkontinentalflüge noch nicht mitgerechnet.

Gut für das Klima ist das natürlich nicht. Das Reisen ist bei weitem das größte, wenngleich nicht das einzige Problem einer Branche, in der es primär ums Feiern geht.

Was können wir also dagegen tun? Europavox hat Menschen befragt, die an vorderster Front stehen und versuchen, etwas zu verändern.

Bookings – lokal vs. international  

Die allererste Antwort der überwiegenden Mehrheit der von uns befragten Branchenvertreter*innen war, dass die lokalen Szenen wieder mehr in den Vordergrund gehören. Auch wenn es theoretisch möglich wäre, die Reiserouten der großen DJs zu optimieren, ist es für klimabewusste Veranstalter*innen und Events am einfachsten, die Emissionen wenn möglich ganz zu vermeiden. Das erfordert allerdings ein langfristiges Umdenken.

Diesen Standpunkt vertritt auch Florian Gobbé von der französischen Promo-Agentur Astropolis. „Wir veranstalten einen Wettbewerb, bei dem wir etwa 25 Künstler*innen aus unserer eher abgelegenen Region in Frankreich auswählen, um die lokale Szene zu stärken“, sagt der in Brest ansässige Veranstalter. „Das hilft uns dabei, unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern und dabei trotzdem international aktiv zu sein.

Das Astropolis-Team hat außerdem versucht, Netzwerke zu schaffen, die zur Förderung lokaler und nachhaltiger Tour-Planungen beitragen. „Es ist schwierig, konkrete Ergebnisse zu erzielen“, sagt Gobbé. „Es muss immer alles schnell gehen, und viele Leute denken nicht über eine vernünftige Planung ihrer Tour nach. Wenn ich kann, nehme ich Kontakt zu Veranstalter*innen in ganz Frankreich und Belgien auf und versuche, Künstler*innen zu vermitteln. Aber das braucht Zeit, und meistens erzielen wir nicht die Ergebnisse, die wir uns wünschen. Viele Künstler*innen machen sich Gedanken über unseren Planeten – aber wenn es mit dem Zug länger dauert, nehmen sie trotzdem das Flugzeug. Man hört viele Kommentare wie: ‚Mir ist Umweltschutz natürlich wichtig, aber in dem Fall ist es einfach nicht praktisch, bitte respektiere meine Entscheidung.‘“

Einfach ist das alles nicht – aber keineswegs unmöglich. Galway, die irische Stadt am Rande des Atlantiks, ist als Partyhochburg bekannt und wird manchmal als eine Art „Endstation“ in Europa bezeichnet – eine Metropole des Hedonismus. Dort aufzulegen, ohne mit dem Flugzeug anzureisen, ist für die meisten unrealistisch. Es ist schlicht zu zeitaufwendig.

Rob Rua, der sowohl als DJ als auch in der Entwicklung von Wind- und Seegrasfarmen und anderen nachhaltigen Dingen tätig ist, veranstaltet dort einmal im Monat die Veranstaltung „Ar Ais Arís“.

Wir haben es geschafft, die Emissionen des Luftverkehrs zu reduzieren, indem wir uns beim Booking hauptsächlich auf irische Acts konzentrieren“, sagt er. „Wir haben ab und an immer noch internationale Headliner, haben aber festgestellt, dass es heute eine höhere Nachfrage nach irischen Acts gibt als noch vor zehn Jahren. Irland geht in dieser Hinsicht heute selbstbewusster mit der eigenen Kultur um. Wir haben außerdem versucht, unsere Veranstaltungen so zu gestalten, dass es mehr um das Gesamterlebnis geht, also auf eine Party zu gehen und eine gute Zeit zu haben, statt sich ausschließlich auf große Namen als Headliner zu fokussieren. Das hat sehr gut funktioniert, und jede Show ist ausverkauft. Unsere Veranstaltungen sind aber auch nur für rund 150 Menschen ausgelegt. So bieten wir unserer Crowd ein intimeres Erlebnis. In einer kleinen Stadt wie Galway lässt sich das ohnehin nicht so gut skalieren.

Rob räumt jedoch ein, dass diese Maßnahmen global nicht wirklich funktionieren. „In großen Städten gibt es einen Druck auf Locations und Booker*innen, immer größere Shows zu veranstalten. Irgendwann ist man in diesem Hamsterrad gefangen und rennt diesen Trends hinterher“, sagt er. „Das trägt zwar zum Wachstum der Szene bei, ist aber sowohl in finanzieller als auch in ökologischer Hinsicht überhaupt nicht nachhaltig. Die sozialen Medien tun ihr Übriges. Die Szenen vor Ort werden immer unwichtiger.

Rua gibt aber auch zu, dass er selbst als DJ ein internationales Booking kaum ausschlagen würde. „Meiner Meinung nach ist es unfair, die Menschen in eine Situation zu bringen, in der sie diese Entscheidungen individuell treffen müssen“, sagt er. „Solange wir keine saubere Luftfahrt haben, müssen diese Dinge reguliert werden.

Tatsächlich gibt es dafür bereits eine App. Djaayz ist ein Marktplatz, auf dem man lokale DJs buchen kann, die praktisch überall zu einem festen Stundensatz auflegen. „In der Szene wächst das Bewusstsein für die Umweltauswirkungen von großen Events, einschließlich Festivals und Clubnächten“, sagt Raphael Aflalo, Mitbegründer der App. „Durch die Förderung lokaler Veranstaltungen und Talente kann Djaayz dazu beitragen, die Veranstaltungsbranche nachhaltiger und umweltbewusster zu machen.

Wie Ruben Pariente von der Aktion „DJs for Climate“ betont, ist die Reduzierung der Reisen von DJs natürlich nur ein Teil des Ganzen. „Um ehrlich zu sein, ist zwar jede Maßnahme hilfreich, und ich bleibe positiv. Aber: Wir können bei DJ-Bookings optimieren bis zum Anschlag. Wenn Leute dann trotzdem quer durch den Kontinent reisen, um Künstler*innen zu sehen, die vielleicht auch in der Stadt um die Ecke spielen könnten, ist das alles verlorene Liebesmühe“, sagt er. „Der größte Einfluss auf das Klima geht bei fast allen Festivals von den Besucher*innen aus.“

Parientes Team bleibt optimistisch und stellt aktuell diverse Konzepte auf zur Reduzierung des Reiseverkehrs. Wie das funktionieren kann, zeigt La Fraicheur.

Reisen: ein individualistischer Ansatz

La Fraicheur ist eine französische DJ, lebt in Barcelona und liegt so gut wie nie. Einen Gefallen für ihre eigene Karriere hat sie sich mit dieser Entscheidung nicht getan. Zwei Promoter*innen, mit denen ich spreche, bestätigen das. „Andernfalls wäre sie schon viel bekannter“, sagt Pariente. Respekt gibt es dennoch.

Mit dem Aufkommen von Billigflügen hat sich das Touring von DJs in den letzten zehn Jahren stark verändert“, sagt La Fraicheur. „Man muss nicht mehr unbedingt berühmt sein, um Zeit im Flugzeug zu verbringen. Es ist völlig normal und teilweise sogar Mode geworden, dass mittelgroße DJs wie ich zwei bis vier Flüge pro Wochenende in Europa unternimmt. Was bedeutet, dass wir in nur einem Monat unseren gesamten vom Weltklimarat empfohlenen jährlichen CO2-Fußabdruck verbrauchen. In meinen Verträgen  ist nun festgeschrieben, dass die Anreise mit dem Zug bei der Buchung von Auftritten immer Vorrang haben muss. Entweder lassen sich die Clubs und Festivals darauf ein, oder ich spiele einfach nicht“, fährt sie fort.

La Fraicheur © Candela Cuervo

Mit einer ausgedehnten Bahntournee will sie demnächst Nägel mit Köpfen machen. „Diesen Herbst arbeite ich mit Technopol, DJs 4 Climate Action, Le Collectif des Festivals und Music Declares Emergency zusammen, um eine ‚künstlerische Kurzstrecken-Tournee‘ zu organisieren – eine zwei- oder dreiwöchige Tour, auf der ich ausschließlich mit dem Zug reise“, erklärt sie. „Wenn man das finanziell nachhaltig machen will, erfordert das von unserer Branche ein radikales Umdenken. Die logistischen Einschränkungen stellen die territorialen Exklusivitätsklauseln der meisten Verträge in Frage“, sagt sie und verweist auch auf die Vorteile für die mentale Gesundheit bei einem besser abgestimmten Tourneeplan.

Ich hoffe, dass wir genügend Kulturschaffende finden, die bereit sind, die Standards und Praktiken unserer Branche zu hinterfragen, um diese Tour erfolgreich zu gestalten. Das wäre die beste Werbung dafür. Die meisten Menschen müssen erst sehen, dass etwas funktioniert, bevor sie sich auf eine Veränderung einlassen. Also muss es ein paar Vorreiter*innen geben, die das Risiko eingehen, um zu zeigen, dass es machbar ist“, erklärt sie.

Der Unterschied liegt im Detail

Neben den Reisen großer internationaler DJs und ihrer Fans verblassen die meisten anderen Klimaschutzmaßnahmen. Technologische – und weitere – Ideen und Ansätze helfen aber.

„Grüne Clubnächte“ liegen immer mehr im Trend. Gleichzeitig gibt es Ideen, die auf den ersten Blick ungewöhnlich und ausgefallen wirken – zum Beispiel die sogenannten „Energy Floors“, die seit 2008 Teil von Festivals wie Coachella und Paradise City sind. Die Böden absorbieren die Energie aus den Bewegungen der Tänzer*innen und können so bis zu 35 Watt konstante Leistung liefern, um z. B. die Beleuchtung in einem Club zu betreiben. Das ist teuer, aber effektiv.

Diese kleinen Dinge sind manchmal wirksamer als so manches gehyptes Massenprodukt. Man sollte sich zum Beispiel bewusst sein, dass der CO2-Fußabdruck beim Reisen unmittelbar vom transportierten Gewicht abhängt. Indem man also das Equipment reduziert, mit dem DJs unterwegs sind, kann auch der CO2-Fußabdruck erheblich verringert werden. Ein Club, der tourenden Künstler*innen das komplette Equipment stellt, hebt sich tatsächlich positiv ab.

Der Aufbau von Gemeinschaften ist ein weiterer entscheidender Punkt“, fügt Pariente von „DJs for Climate“ hinzu und verweist auf die Bemühungen sowohl auf Reisen als auch in der Heimat. „Nach Corona waren einige Clubs gezwungen, lokale DJs zu buchen, da eine Anreise nicht möglich war. Dabei stellten sie fest, dass der Club nicht weniger voll war als sonst. Lokale Gemeinschaften sind sehr wichtig.

Ausblick

Wenngleich unsere Gesprächspartner*innen die Notwendigkeit von Veränderungen anerkennen, haben sie nicht das Gefühl, dass alle anderen (oder zumindest ausreichend viele) der gleichen Meinung sind – wenigstens nicht in dem Ausmaß, das nötig wäre, um etwas zu bewegen.

Mit deinen Bemühungen stehst du meistens allein da. Viele Menschen wollen keine Verantwortung für ihr eigenes Verhalten und ihre Lebensentscheidungen übernehmen“, sagt La Fraicheur. „Um mich bei meinen Entscheidungen zu unterstützen, müssten Menschen erst einmal ihre Gewohnheiten und ihren Konsum hinterfragen, wozu nicht viele bereit sind.

Cathy Guetta, die frühere Ehefrau von David Guetta, ist eine lobenswerte Ausnahme: Sie hat ihre Einstellung geändert und wirbt nun für ihre neue lokale DJ-App DJaayz.

Ich würde sagen, dass es in der Branche definitiv ein wachsendes Bewusstsein für die Umweltauswirkungen von Großveranstaltungen, Festivals und Clubnächten gibt“, sagt sie.

Früher ging es nur um Protz und Exzesse, Champagner und Privatjets. Jetzt, da wir uns unserer Erde bewusster sind und die Prioritäten sich geändert haben, ergreifen die Organisator*innen Maßnahmen, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Sie konzentrieren sich wieder auf den Aufbau von Gemeinschaften von Menschen, die in der Musik ein Mittel sehen, sich einander anzunähern.“ In Zukunft muss sich also einiges ändern – doch diejenigen, die dabei an vorderster Front stehen, haben die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben.