Am 8. März wird jedes Jahr anlässlich des Weltfrauentags die Gleichberechtigung der Frauen gefeiert. Vor allem erinnert der Tag aber an die vielen Kämpfe, die noch ausgefochten werden müssen: Lohngleichheit, Gesundheit und reproduktive Selbstbestimmung, Zugang zu Bildung… Auch in der Welt der Kultur und damit auch in der Musikbranche wird diskriminiert, da in diesem Bereich überwiegend Männer beschäftigt sind – auf der Bühne, in Labelbüros oder an den Mischpulten.
Selten, aber durchaus erwähnenswert: Die überwiegende Mehrheit des Teams von Europavox.com ist weiblich, ebenso wie ein großer Teil der Journalisten. Und auch insgesamt verbessert sich die Situation langsam aber sicher, da immer mehr weibliche und nicht-binäre Künstler, Führungskräfte oder Toningenieure in der Szene arbeiten. Aber auch hier ist die Gleichstellung noch nicht erreicht. Denn dies erfordert Unterstützung und Aufmerksamkeit und es mangelt auch an Vorbildern für die jüngere Generation. Deshalb haben wir sechs unserer Journalistinnen gebeten, uns anlässlich des 8. März einige herausragende Namen zu nennen. Hier also die zehn europäische Frauenbands und Künstlerinnen, die ihre Femininität genutzt haben, um Kraft, Emotionen und erstaunliche Musik hervorzubringen.
Noémie Lecoq (Frankreich)
Marta Del Grandi – Italien [Unterstützt von Europavox]
Nach ihrem Durchbruch mit dem Album „Until We Fossilize“ (2021) konzentrierte sich die italienische Sängerin und Songwriterin Marta Del Grandi vollkommen auf „Selva“ (2023), eine großartige Platte in der sie ihr Können mit intimem Folk, schwelgerischen Torch Songs, elegantem Jazz und zartem Electro-Pop beweist. Eine wahre Masterclass, die vermittelt, wie Verletzlichkeit in Stärke und pure Schönheit verwandelt werden kann.
Fever Ray – Schweden
Die schwedische Songwriterin und Producerin Karin Dreijer ist bereits seit Jahren auf ihrem Selbstfindungs-Trip und entdeckt ihre Welt unter dem Pseudonym Fever Ray neu. Sie ist eine der faszinierendsten Vordenkerinnen der zeitgenössischen Elektronikszene mit einem einzigartigen Stimmumfang.
Susanna La Polla De Giovanni (Italien)
FO-SHO – Ukraine [Unterstützt von Europavox]
Ich hatte das Glück, die beiden FO-SHO-Schwestern 2022 beim Europavox Festival in Clermont-Ferrand auftreten zu sehen und ihre Performance hat mich vom Hocker gehauen. Sie haben mich mit ihren scharfen, packenden Lyrics, ihrem sanften Gesang und ihrer kämpferischen Attitude in ihren Bann gezogen. Die talentierten jungen Ukrainerinnen, die aus Äthiopien stammen und jetzt als Flüchtlinge in Stuttgart leben, wollen die Zuhörer mit ihrer Single „U Cry Now“ für den anhaltenden Krieg in ihrem Land sensibilisieren und nahmen aus diesem Grund an der UNHCR-Dokumentarserie „We Were Here“ teil.
Mélanie De Biasio – Belgien/Italien
Ich finde diese italienische Musikerin wahnsinnig inspirierend. Das neueste Werk der italienisch-belgischen Sängerin und Komponistin Mélanie De Biasio „Il Viaggio“ ist reine Poesie. Es ist eine mystische Reise, die teils in Italien, teils in Belgien und teils in den USA aufgenommen und produziert wurde.
Maro Angelopoulou (Griechenland)
Someone Who Isn’t Me – Griechenland [Unterstützt von Europavox]
Someone Who Isn’t Me ist eine queere Frauenband aus Athen. Begleitet von 80er Jahre Darkwave und gurgelnden Electro-Pop-Sounds singen sie über Identität und Befreiung. Antiautoritäres („Graveyards“) und urbane Erzählungen („Summer In Athens“) gehen einher mit romantischen Geschichten über die toxische Männlichkeit („Gomenaki“). Die Band feiert mit ihren Tracks die Weiblichkeit („Pinku“) und ermutigt Mitstreiterinnen dazu, ihr volles intellektuelles und spirituelles Potenzial zu entfalten. Liebe – als Quelle der Freude und als Triumph des Herzens über die dunkle Seele der Menschen – stand schon immer im Mittelpunkt ihres Songwritings. Ihre erste Single „A Girl Like This“ auf dem zweiten Album „Heartbreaker“ ist ein sinnliches Hörerlebnis und erzählt eine Fem-to-Fem-Liebesgeschichte.
Rea Hadžiosmanović (Kroatien)
Jorja Smith – Großbritannien [Unterstützt von Europavox]
Für viele von uns sind die Zeiten schon lange vorbei, in denen wir von Schlafliedern ins Reich der Träume begleitet wurden. Aber wenn Ihr das Gefühl als Erwachsene noch mal erleben möchtet, würde ich definitiv die Songs von Jorja dazu empfehlen. Diese außergewöhnliche Sängerin und Songwriterin aus England navigiert selbstbewusst durch Jazz-, Soul-, R&B-, britische Garage- und Grime-Genres, wie ihre beiden Studioalben „Lost & Found“ und „Falling or Flying“ aus dem letzten Jahr beweisen. Mit einer Mischung aus tiefgründiger Verletzlichkeit alla Amy Winehouse und der Geschmeidigkeit von Sade besitzt Jorja alle Talente, um groß rauszukommen.
SUN U – Kroatien
Scharf, wie ein musikalisches Schweizer Messer – so könnte man diese talentierte Lady beschreiben! Die Kroatin Sanja Šiljković, bekannt als SUN U, ist seit über einem Jahrzehnt als Musikerin und bildende Künstlerin in der Musikszene tätig. Sie hat bereits zwei Alben released und eines ist gerade in der Mache, wobei Sanja das komplette Artwork übernimmt: vom Songwriting, Spielen und Aufnehmen mehrerer Instrumente bis hin zum Singen, Arrangieren, Produzieren, Mischen und Mastern ihrer Tracks. Ein gelungener Mix aus Elektronik-, Pop- und Trip-Hop aus Großbritannien und Skandinavien, der an Künstler wie Röyksopp, Everything But The Girl und Disclosure erinnert. Doch das ist längst nicht alles! SUN U ist auch eine angesehene Grafikdesignerin: Ihre Arbeit ist ein einziges Kunstwerk aus visuellen Elementen und Live-Performance!
Eliza Nita (Rumänien)
ZIMBRU – Rumänien [Unterstützt von Europavox]
Die Fähigkeit dieser außerordentlichen Künstler:innen, Szenen spektraler Schönheit zu kreieren, hat sie nicht davon abgehalten, hier und da auch Zeichen des Wandels in einer kaputten Welt zu entdecken. Wir müssen nicht, wie bei Taylor Swift, ständig rumrätseln, worüber sie singen. Es ist völlig klar, was sie über die rumänische Gesellschaft denken. Sie haben keine Angst davor, laut herauszuposaunen, was sie denken, oder welche Konsequenzen das haben könnte. Dass viele Fans wegen der provokativen Texte keine Tickets für ihre Lifeacts mehr kaufen könnten, bereitet ihnen sicher keine schlaflosen Nächte. Die Dinge auszusprechen wie sie sind, ist auch kein Marketingtrick; sie setzen sich mit ihrer Musik aus Überzeugung für eine bestimmte Sache ein und nicht deshalb, weil sie bekannter werden wollen. Und bei alldem bleiben sie ganz locker und gelassen. Während westliche Rechtsextreme das Ende der unpolitischen Kunst betrauern (vorausgesetzt, es gibt so etwas) macht Zimbru’s Musik deutlich, dass man sein wahres Ich nicht im Namen des Aktivismus opfern muss. Synths und Percussions begleiten sie zum Ende des Tunnels.
Clémence Meunier (France)
Lucy Kruger & The Lost Boys – Deutschland [Unterstützt von Europavox]
Dieser Liefeact war definitiv einer meiner besten Momente im Jahr 2023. Umgeben von meinen Kollegen von Europavox und dem Team von INmusic (den kroatischen Partnern von Europavox) konnte ich Lucy Kruger & The Lost Boys im Club Mochvara! erleben, einem coolen alternativen Veranstaltungsort in Zagreb. Der zweite Abend dieses fantastischen Events im Rahmen des Europavox Festivals Zagreb war den Rock- und Popbands gewidmet. Aber was ging in Lucy Kruger vor? Vom allerersten Gitarrensound, der allerersten Cello-Note, schaute die in Südafrika geborene, in Berlin lebende Performerin dem hypnotisierten Publikum direkt in die Augen – und mitten in die Seele. Sie schrie, sie heulte, sie verunsicherte, sie berührte etwas tief im Inneren. Sie ist Rock, Stoner, trippige Musik mit Nick Cave-Einflüssen und starken Texten über Weiblichkeit. Aber vor allem ist sie eine Lawine von Gefühlen, ein Schuss Wut, Kraft und Unbehagen. Ich war so überwältigt, dass ich heulen musste. Nicht weil ich traurig war, sondern weil mein Gehirn so viele Gefühle auf einmal einfach nicht verkraften konnte. Für mich ist sie der Inbegriff einer herausragenden Künstlerin.
Zaho de Sagazan – Frankreich [Unterstützt von Europavox]
Eine Handvoll Songs reichte, um die Aufmerksamkeit der gesamten französischen Musikbranche zu erregen. Zaho de Sagazan war bereits ein nationales Phänomen, als sie im März 2023 ihr Debütalbum „La Symphonie des éclairs“ veröffentlichte. Der Grund liegt auf der Hand: Zaho de Sagazans Arbeit, eine scharfe Mischung aus französischem „Chanson“ und elektronischer Musik, mit berührenden und reifen Texten, die mit makelloser Rhetorik geliefert werden, kann anfeuern oder bewegen und sogar beides gleichzeitig. Sie ist sowohl auf der Bühne als auch im Studio ein Leuchtfeuer der Stärke, des Charismas und des Talents und auf dem Sprung, internationale Herzen zu erobern. Ihre Songtexte sind etwas Besonderes, aber ihr müsst kein Französisch lernen, um sie zu lieben.