“Floating on sea but I’m stricken by poverty; wars and politics famine and disease; blinding promises I never got to see; stuck in Heathrow never got to oversea; but I could’ve been under the sea; and the family would never hear of me again.” – Rusangano Family, Heathrow.
Migration war schon immer ein zentraler Bestandteil des irischen Selbstverständnisses – in die eine oder andere Richtung. Natürlich waren die Irinnen und Iren traditionell die, die ihre Heimat verließen. Dass Menschen auch nach Irland migrieren, ist ein vergleichsweise neues Phänomen. In Zeiten multikultureller Gesellschaften mittlerweile natürlich auch Teil der irischen Realität und Identität.
Denn Irlands Gesellschaft hat sich zunehmend liberalisiert. Erst 1993 wurde Homosexualität unter starkem Druck der EU-Gerichte entkriminalisiert, heute ist die Homo-Ehe legal. Das Land hat sich dramatisch verändert. Zum Positiven.
Die Entwicklung des HipHop in Irland verlief genauso dramatisch. Noch in den späten Nullerjahren war der bekannteste Act der Insel ein Comedy-Duo namens Rubberbandits. Die Musik war dabei kaum mehr als ein Backdrop.
Doch dann änderte sich alles: Bands wie Lethal Dialect und Mumblin Deaf Ro – später besser bekannt als Autor unter seinem richtigen Namen Ronan Hession – ebneten den Weg für eine Szene, die schließlich von brillanten Einwander*innen dominiert werden sollte.
Die Rusangano Family war wohl der erste irische HipHop-Act, der wirklich internationale Anerkennung erlangte. Sie gewannen den Choice Music Prize 2016 für ihr spektakuläres Album „Let The Dead Bury The Dead“, auf dem das Einwanderungsthema im Mittelpunkt steht. Auf der Hitsingle „Heathrow“ beschreiben sie die Entfremdung, die mit der Einreise in die westliche Welt über einen der größten Knotenpunkte Europas, den Londoner Flughafen, einhergeht.
Das Trio – ein DJ aus Irland und zwei MCs aus Togo und Simbabwe – sagte der Irish Times: „Ich kenne Leute, die das Schlimmste durchgemacht haben, nur um hierher zu kommen“, und fügte hinzu: „Das sind Geschichten, die erzählt werden müssen, damit sie nachvollziehbar sind.“ Die irische Musikszene applaudierte.
Unterstützung kam auch von außerhalb. Der Brite Phil Udell – Musikjournalist – engagierte sich in seiner neuen Wahlheimat Kollektiv Word Up Collective. Er hatte das Potenzial der Szene schnell erkannt. Heute gilt das Projekt als eines der einflussreichsten überhaupt im irischen Rap.
Und dann gibt es noch die grandiose Denise Chaila. Sie hat sambische Wurzeln und proklamiert mit ihrer Musik lautstark und stolz ihre irische Herkunft und ihre Identität – in Hits wie „Anseo“ (irisch für „hier“). „Ich glaube nicht, dass ich meinen Platz hier gefunden habe, ich glaube, ich habe ihn geschaffen“, schrieb sie in einem Essay über ihre eigene Identität.
„Irland ist eine Nation von Immigranten, und (weiße) Iren wissen wie kaum andere weiße Menschen auf der Welt, was es heißt, einen kulturellen Völkermord zu erleben, was es bedeutet, sein Land zu verlassen, um in einem anderen Land Zuflucht zu suchen“, fährt sie fort.
„I’m your black James Bond. Anseo. Spice box, taxi by the Centra. Anseo.“
Die Liste ist noch länger: Simi Crowns (geboren in Lagos, Nigeria, und im Alter von elf Jahren nach Dublin gezogen) rappt mit einem gewichtigen Yoruba-Akzent und gewann bei den Irish African Music Awards den Preis für den besten Nachwuchskünstler. „Ich bin erst zufrieden, wenn die Zuhörer*innen das, was ich mache, lieben oder hassen. Es gibt keine Möglichkeit für sie, nicht irgendeine Art von Gefühl auszudrücken“, sagt er über seinen kraftvollen Stil.
Der ordentlich gehypte Emzee A stammt aus der gleichen Region. Und Rejjie Snow, mit jamaikanischen und nigerianischen hat bereits mit Madonna und Kendrick Lamar gespielt und mit MF Doom zusammengearbeitet. Er liefert brillante Einblicke in die irische Sprache und sagt: „Man muss neue Erfahrungen auf der Welt machen. Nur so kann man sich selbst verstehen und seinen seinen Platz in der Welt finden.“ Gerade jetzt strahlt die Szene, ihre Lichter kommen von jenseits unserer Grenzen.
Denn natürlich erinnern sich die Irinnen und Iren noch immer an die auch gegen sie gerichtete Diskriminierung in England, zum Beispiel bei der Vermietung von Zimmern. Damals hingen oft Plakate in den Fenstern, auf denen „Keine Schwarzen, keine Hunde, keine Iren“ stand. Heute gilt: Vielfalt ist eine Stärke. Diese Erkenntnis ist auch in Irland angekommen – und spiegelt sich in der Musik der Insel wider.