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Musik & Nachhaltigkeit, Folge 1 - Nightmares On Wax: Kann Vinyl umweltfreundlich(er) werden?

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Musik & Nachhaltigkeit, Folge 1 - Nightmares On Wax: Kann Vinyl umweltfreundlich(er) werden?

In den kommenden Wochen beschäftigen sich die Autor*innen von Europavox damit, was die europäische Musikindustrie in Sachen Nachhaltigkeit, Verringerung des CO2-Ausstoßes und weiteren Best Practices unternimmt – für eine grünere und bessere Zukunft. In dieser ersten Folge befassen wir uns mit einer sehr symbolträchtigen Nische der Branche: der Schallplatte – einem Medium aus 100 % Kunststoff.

Vinyl boomt. Schon seit Jahren erlebt das einst totgesagte Medium eine Renaissance. Der Musikindustrie gefällt das – und zwar aus gutem Grund. Da ist einerseits die Rückbesinnung der Fans auf physische Tonträger,  die Wiederbelebung der Tradition eines Albums samt seines Covers als Kunstwerk. Gleichzeitig lässt sich damit natürlich auch gutes Geld verdienen. Aber: Dieser Trend hat Auswirkungen – auf die Umwelt.

Es geht um Kunststoff. Forscher*innen der Universität Keele haben berechnet, dass jede Schallplatte in der Regel etwa 135 g PVC (Polyvinylchlorid) enthält und bei der Produktion 0,5 kg CO2 anfällt – Transport und Verpackung nicht mitgerechnet. Das Problem? Die Vinyl-Herstellung hat sich faktisch seit den späten 1940er-Jahren nicht weiterentwickelt. Erdöl ist der alles entscheidende Werkstoff. Mittlerweile experimentieren mehrere Unternehmen mit neuen Technologien, um die Abhängigkeit vom Öl beim Vinyl zu verringern –  und den Prozess nachhaltiger zu gestalten.

Eine umweltfreundliche Alternative für die Herstellung von Schallplatten“, heißt es auf der Website von Green Vinyl Records, einem Zusammenschluss von acht niederländischen Unternehmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, „eine neue Generation des Vinyls“ zu verwirklichen. Ihre Schallplatten sind PVC-frei – und bei der Pressung kommen weder Chlor noch Dampf zum Einsatz, wodurch sich mehrere Vorteile ergeben: Energieeinsparungen von über 60 %, 25 % niedrigere Produktionskosten, ein schnellerer Herstellungsprozess und geringere Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit.

Es klingt und fühlt sich an wie Vinyl, ist aber besser für die Umwelt“, sagt Harm Theunisse von Symcon B.V., einem der beteiligten Unternehmen. Den Firmen geht es nicht nur darum, PVC bei der Herstellung durch haltbarere, weniger schädliche und zu 100 % recycelbare Alternativen zu ersetzen. Für Green Vinyl wurde auch ein sauberes, energiesparendes Spritzgussverfahren entwickelt, das das traditionelle Pressen ersetzt. All das ist Teil des erklärten Ziels, „das vertraute Gefühl einer Vinylplatte zu schaffen und zu erhalten, aber mit neuen Materialien und Herstellungsprozessen“. 

Das britische Unternehmen Evolution Music geht noch einen Schritt weiter – mit der weltweit ersten LP aus Biokunststoff. Während das Herstellungsverfahren und die technischen Anlagen die gleichen bleiben, besteht die Schallplatte aus einem aus Zuckerrohr gewonnenen Öko-Kunststoff. Und es geht nicht nur um die Schallplatte selbst, sondern auch um „menschen- und planetenfreundliche Verpackungs- und Vertriebslösungen“, ein entscheidender Teil ihres erklärten Ziels, „ein einfach positives Produkt“ zu schaffen, „das die Entwicklung der Musikindustrie zu einer umweltfreundlichen und sozial verantwortlichen Branche vorantreibt“.

Dann gibt es da noch das jüngste Projekt von Evolution Music mit Bye Bye Plastic und eine weitere bahnbrechende Entwicklung – die weltweit erste von Bakterien hergestellte Schallplatte. Das für diese Schallplatten verwendete Biopolymer, das vollständig von Mikroorganismen durch bakterielle Fermentation hergestellt wird, ist ein äußerst neuartiges Material. Das Endprodukt, das zur PHA-Familie gehört, ist vollständig umweltverträglich, kompostierbar und in jeder Umgebung biologisch abbaubar. Die Skalierbarkeit ist nach wie vor gewährleistet, da für die Schallplatten dieselbe Produktionsinfrastruktur wie für herkömmliche Vinylpressungen verwendet wird.

Kredit Foto : Toni Villen beim Amsterdam Dance Event

Discomaton, ein kleines französisches Unternehmen, hat sich zum Ziel gesetzt, das Problem der „Überpressung“ zu lösen, als zu hoher hergestellter Stückzahlen. Sie stellen Vinyl pro Stück her, ohne Lagerbestände, so dass Künstler*innen und Labels nur das pressen, was sie brauchen. Das Vinyl ist außerdem individuell anpassbar: Farben, Form und Design können genau nach ihren Vorgaben hergestellt werden, ebenso wie die Cover und Inlays. Außerdem beträgt die durchschnittliche Produktionszeit nur zwei Wochen, was bedeutet, dass eine physische Veröffentlichung für spontane Releases auch möglich ist.

Kreativität und Innovation war schon immer Teil der Musikindustrie. Was bislang vor allem für Künstler*innen galt, schlägt langsam auch auf die Produktion von Tonträgern durch. Die Zeit für Veränderung ist gekommen.