Bergen ist bekannt als das „Herz der Fjorde“, wird aber seit geraumer Zeit auch immer bekannter für seine kreative Szene und Energie. Auf den ersten Blick versprüht Bergen kleinstädtischen Charme, ist aber die zweitgrößte Metropole Norwegens. Und ganz nebenbei auch die Heimat erfolgreicher Künstler*innen wie Aurora und Röyksopp. Mit Auroras Worten: „Bergen ist kalt, aber voller kreativer Energie und Aktivität.“
Die Musikszene der Stadt hat eine Reihe von Künstler*innen hervorgebracht, die sich in Genres wie Rock, Pop, Electronica und Folk einen Namen gemacht haben. Viele von ihnen begannen ihre Karriere in den engen Gassen Bergens, bevor sie hinaus in die Welt zogen. Dieser Trend ist alles andere als passé: Die Stadt ist voll von neuen Künstler*innen, die gerade erst entdeckt werden. Einige von ihnen sind Studierende , die in vier Wänden Musik machen, ihr eigenes Material veröffentlichen und versuchen, ihre musikalischen Träume zu verwirklichen. Und genau die stehen im Mittelpunkt des Europavox Campus.
Bergen und Europavox Campus
Die HVL, die „Western Norway University of Applied Sciences“, ist eine der europäischen Hochschulen, die an dem neu gegründeten Projekt Europavox Campus teilnehmen. Die Idee? Studierende kommen im Rahmen einer kulturellen Initiative zusammen. Zuerst regional. Bei diesen Sprungbrettern absolvieren , Künstler*innen Gigs auf dem Campus. Und dann europäisch: das Finale steht bereits im April 2023 an. Astroturf hat die Challenge in Bergen gewonnen. Die fünfköpfige Pop-Rock-Band (ja, ihr Name ist auch der Titel eines Songs von King Gizzard & The Lizard Wizard) trat gegen vier weitere Bands aus verschiedenen Stilrichtungen an: die Rockband Baby Heartless, die Popkünstlerin Hyerin, die Indie-Band Sif und die Noise-Punk-Band Eat People. Hammer, „wir haben das lokale Finale von Europavox gewonnen! Und das, obwohl so viele unglaublich talentierte Bands mit uns gespielt haben,“ posteten sie nach der Bekanntgabe auf ihrem Facebook-Account.
Musik als öffentliches Gut
In Bergen sind wichtige Initiativen entstanden, die die Kreativität und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen fördern, die lokale Communities zusammenbringen und den Weg in die Zukunft weisen. Der Fokus auf die künstlerische Kreativität ist nachhaltig und ganz bewusst – im Namen der Integration Brak ist eine gemeinnützige Einrichtung für die Förderung von Künstler*innen einerseits und Geschäftsideen und -strukturen andererseits. Hier gibt es Support auf allen Ebenen – für Künstler*innen, Veranstalter*innen, Venues etc. an der Westküste Norwegens. Es ist der Ort, an dem sich die vielfältige Musikszene der Stadt trifft, um gemeinsam etwas zu schaffen und sich über den Prozess des Musikmachens auszutauschen. Und auch darüber, wie die Musik im Anschluss vermarktet werden kann. Alle Angebote sind kostenlos: Seminare, Workshops und Beratungen. Die Unterstützung der lokalen Musikszene ist wichtiger denn je, weiß Inni Mowinckel, Projektmanagerin im Brak: „Nach der Pandemie haben wir uns besonders darauf konzentriert, die lokale Szene wieder physisch zusammenzubringen,“ erklärt sie. „Dazu gehören nicht nur die Live-Auftritte, die wir alle in den letzten Jahren vermisst haben, sondern auch die Kreativen. In den letzten Monaten haben wir zwanglose Treffen unter dem Namen Lytteklubb organisiert, damit Songwriter*innen, Producer*innen und Künstler*innen aus ihren vier Wänden rauskommen und nicht immer nur im Studio abhängen. Wir wollen wissen, was sie produziert haben, woran sie arbeiten. Es kann schnell passieren, kreativ steckenzubleiben. Sich hier auszutauschen, ist eine gute Inspirationsquelle..“
© Oystein Haara
Die von Brak vorgestellten Projekte Vill Vill Vest (Wild Wild West) und Bergen Songs sind konkrete Beispiele dafür, wie Kreativität in der norwegischen Stadt wertgeschätzt wird. Vill Vill Vest ist ein Festival für aufstrebende Talente und findet bereits zum achten Mal statt – mit rund 70 norwegischen Künstler*innen. „Klein, intim, entspannt und unterhaltsam. Die Künstler*innen sind interessant und aufregend. Neue Talente treffen auf etablierte und erfahrene Musiker’innen. Die Mischung ist gut und wichtig. Wir sehen viele positive Ergebnisse. Künstler*innen werden unter Vertrag genommen, Songs in Filmen platziert und neue Partnerschaften geschlossen,“ sagt Mowinckel. Begleitend findet auch ein Konferenzprogramm statt – mit Podiumsdiskussionen, viel Zeit für persönliche Begegnungen mit Fachleuten aus der Branche und Outdoor-Aktivitäten wie die Delegierten-Rundfahrt und das morgendliche Schwimmen im Meerwasserpool im Nordnes Sjøbad.
© Oystein Haara
Und dann ist da noch Bergen Songs, das jährliche Songwriting-Camp von Brak, das 2016 offiziell ins Leben gerufen wurde. Hier können neue und etablierte Songwriter*innen und Producer*innen ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und Netzwerke knüpfen, um ihre Karriere voranzutreiben. À propos Networking: Laut Mowinckel ist dieser Aspekt das Wichtigste, um eine Musikkarriere zu starten. „Du kannst zu Konzerten gehen, zu Showcases, Meet-and-Greets und diesen zunächst langweilige scheinenden Seminaren darüber, wie man als Musiker*in seine Steuern zahlt usw. Viel wichtiger ist es, Menschen kennenzulernen. Wenn du einen Showcase-Gig buchst, ist es nicht nur deine Aufgabe zu spielen, sondern auch ein Netzwerk aufzubauen. Wenn du Musiker*innen triffst, die in der gleichen Situation sind wie du, kannst du dich über Ideen und Probleme austauschen. Ihr helft euch gegenseitig.“
„Wenn du dich mit Leuten aus dem Business triffst, schauen sie sich auch eher deine Gigs an. Und nehmen dich vielleicht sogar unter Vertrag.“ Bei Brak wird bereits weiter gedacht: „Wir arbeiten aktuell mit unseren Partnerorganisationen an der Erweiterung unserer Websitemusikkontoret.no. Hier veröffentlichen wir kostenlose Leitfäden, Interviews und Checklisten – und einen ziemlich umfassenden Überblick über die in Norwegen verfügbaren Fördermittel. Wir freuen uns auch sehr, dass wir bald wieder unser internationales Songwriting Camp Bergen Songs veranstalten werden, zum ersten Mal seit 2019! Vill Vill Vest wird sich auf das konzentrieren, was uns einzigartig macht: Bergens kreative Musikszene und die Community, die wir alle aufgebaut haben. Ich freue mich auch auf die Fortsetzung eines internationalen Austauschprogramms für junge Branchenprofis, das wir letztes Jahr mit dem norwegischen Musikexportbüro Music Norway gestartet haben. Vor allem aber sind wir sehr froh, dass es in der Branche wieder aufwärts geht,“ sagt Mowinckel.
© Mila Larvoll
Der Weg in die Musikkarriere
Der Begriff „Bergensbølgen“, was so viel bedeutet wie „die Welle von Bergen“, tauchte erstmals in den 90er-Jahren in den Medien auf. Heute ist es ein Klischee. Damals jedoch war es ein gutes Beispiel für die künstlerische Stärke der Stadt. Die lokale Musikindustrie hat sich im Laufe der Jahre so weit entwickelt, dass man nicht mehr nach Oslo oder ins Ausland fahren muss, um ein Label zu finden. Es gibt einen großen Pool an Leuten, die interessante Musik machen und vertreiben. Beachtlich, denkt man an die geringe Einwohner*innen-Zahl der Stadt mit etwa 287.000 Menschen.
Tellé Records ist ein Klassiker. Sowohl Röyksopp als auch Kings of Convenience. haben hier angefangen. Karisma Records hat sich auf Rock- und Progressive-Bands spezialisiert – und mit dem Sublabel Dark Essence ein Outlet für Black- und Extreme-Metal etabliert. Bergen Mafia Records wird von Axel und Pish Vindenes geleitet, die auch bei Kakkmaddafakka spielen. Und Maksimal widmet sich House und Techno. Brilliance Management besteht aus mehreren Abteilungen in den Bereichen Management, Label und Live-Promotion. Unter ihrem Dach begann auch GEMS, die Zusammenarbeit mit MADE Management, der Heimat der Superstars Sigrid und Aurora. Seit 2021 besteht eine enge Zusammenarbeit mit Warner Music Norway – für mehr Sichtbarkeit aller Künstler*innen. Spitze des Eisbergs? Ja, aber natürlich nein.
Letztendlich sind es die Menschen in Bergen, die die Szene am Leben erhalten und weiter aufbauen. Musiker*innen? Check. Projekte? Check. Infrastruktur? Check. Bergen? Alle Daumen hoch!.