Anfang des Jahres 2021 begab sich der österreichische Musiker Manu Delago auf eine der ambitioniertesten Tourneen seiner Karriere. Um den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, packten der Künstler und seine Crew die Instrumente und das Equipment auf Fahrrad-Anhänger und radelten zu den Gigs – zu allen. Going Green – umweltbewusstes Handeln – haben sich viele Künstler*innen auf die Fahnen geschrieben. Was aber nicht automatisch bedeuten muss, dass nun alle mit dem Fahrrad zu den Auftritten fahren. Schauen wir uns einmal näher an, wie Künstler*innen Wege finden, um nachhaltiger auf Tour zu gehen.
© Manu Delago ReCycling Tour 2021
Die Medien sind voll mit Berichten, wie Mainstream-Künstler*innen ihren neuen „grünen“ Ansatz für Tourneen umsetzen wollen. Billie Eilish, Radiohead, Massive Attack und viele andere haben allesamt unterschiedliche Ideen entwickelt, um ihren CO2-Fußabdruck bei Gigs rund um den Erdball zu minimieren. 2019 hörten Coldplay sogar auf, Gigs zu spielen und entwickelten ein ökologischeres Touring-Setup.
Schon mit einem einzigen Kurzstreckenflug stoßen wir so viel CO2 aus, wie andere Menschen im ganzen Jahr emittieren. Bei Tourneen wird die Sache deutlich komplizierter. Nicht nur die Band und Crew kommen in Betracht, sondern auch die mitreisenden Fans müssen berücksichtigt werden. Auch sie tragen zum CO2-Fußabdruck bei Shows und Festivals bei.
Wie also können Bands weiterhin touren und Konzerte auf dem gesamten Kontinent – auf der ganzen Welt! – geben, ohne das Klima negativ zu beeinflussen? Die Lösungen sind alles andere als einfach. Und Künstler*innen verfolgen dabei ganz unterschiedliche Ansätze.
© Guy Smallman
The Green Rider
The Green Rider wurde von den United Independent Music Agencies (UIMA) ins Leben gerufen. Konkret handelt es sich um ein Ressourcen-Paket und eine Liste von Anforderungen, an die sich Veranstalter*innen und Booker*innen halten müssen. Neben Anforderungen zur umweltfreundlicheren Verpflegung und Unterbringung gibt es auch Details zum Reisen – darauf ausgerichtet, so wenige Kurzstreckenflüge wie möglich zu buchen.
Nach Angaben der UIMA absolvieren die mehr als 1.000 Künstler*innen, die von der Agentur vertreten werden, jährlich über 15.000 Auftritte und nehmen dabei 18.400 Flüge in Anspruch – 7.500 davon mit einer Wegstrecke von weniger als 750 Kilometern. Genau diese Reisen könnten durch umweltfreundlichere Alternativen ersetzt werden, zum Beispiel mit dem Zug. Mit der Einführung des Green-Rider-Prinzips könnten Künstler*innen so ihre CO2-Emissionen um 80 % reduzieren.
Die UIMA ist nicht die einzige Initiative, die dieses Ziel verfolgt. Das Green Touring Network, eine deutsche gemeinnützige Organisation, hat den Green Touring Guide veröffentlicht. Und unterstützt und berät Künstler*innen dabei, klimaneutral zu werden. Der Ratgeber umfasst sechs Schritte in Richtung Nachhaltigkeit, darunter Reisen, Auftritte, Catering, Übernachtung, Merchandising und Kommunikation.
Eine Band, die den Green Rider bereits verwendet, ist die deutsche Popband Milky Chance. Um ihre Bemühungen um Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit proaktiv zu verfolgen, stellte die Band 2019 mit Mariko-Ann Zimmer eine eigene Nachhaltigkeitsmanagerin ein. Gemeinsam wollen sie ihre Plattform als Musiker*innen nutzen, „um einen proaktiven Standpunkt zur Umweltkrise einzunehmen“.
Band und Crew reisen so oft wie möglich mit dem Bus, um dadurch Flüge und Hotels zu umgehen. Unterwegs treffen sie sich mit NGOs und thematisieren die Klimakrise in Gesprächen. Die Band ist auch Teil der Initiative Music Declares Emergency, einer globalen Bewegung von Künstler*innen, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Die Kampagne trägt den Titel „No Music on a Dead Planet“ und hat ein Infopaket zusammengestellt – einen 10-Schritte-Ratgeber für Künstler*innen, die ihre Tourneen umweltfreundlicher organisieren wollen. Das Dokument enthält auch Ideen von ecolibrium, einem Kollektiv für Live-Events, das das Klimabewusstsein in der Festival-Szene fördern möchte – mit konkreten Tipps zum Touring. Wie messe ich meinen CO2-Fußabdruck? Wie erstelle ich einen nachhaltigen Reiseplan? Und wie kommuniziere ich mein Handeln gegenüber meinen Fans?
© Anthony Molina
Going Green auf Reisen
Milky Chance ist nicht die einzige deutsche Band, die den Klimawandel ernst nimmt – die gesamte Live-Branche spricht darüber. Zwei der größten deutschen Rockbands, Die Ärzte und Die Toten Hosen, haben mit der gemeinnützigen Organisation Atmosfair zusammengearbeitet, die Projekte zur CO2-Reduzierung fördert und unterstützt. Auf ihren letzten Tourneen haben Die Ärzte und Die Toten Hosen einen kleinen Aufschlag auf ihre Konzertkarten erhoben, der dann an Atmosfair gespendet wurde, um die CO2-Emissionen auszugleichen. Und all dies geschieht, nachdem die beiden Bands neue, experimentelle „umweltfreundliche“ Konzerte in Berlin gegeben haben, bei denen sie neue „klima- und ressourcenschonende Produkte und Verfahren“ getestet haben, die sie hoffentlich auch zukünftig implementieren werden.
Natürlich verfügen nicht alle Acts über solche Möglichkeiten und die benötigten Ressourcen. Hier hilft das Goethe-Institut. Das weltweit tätige deutsche Kulturinstitut hat das Förderprojekt „Grün Unterwegs“ ins Leben gerufen. Das Ziel? Professionellen Musiker*innen dabei zu helfen, nachhaltig auf Tour zu gehen. Unter den zahlreichen Künstler*innen, die eine Förderung erhalten haben, befindet sich auch der deutsche Sound-Künstler Felix Claßen, der mit seiner solarbetriebenen quadrophonischen Sound-Installation ausschließlich mit dem Zug und dem Boot unterwegs ist. Auch der Jazzmusiker Jonas Engel, konnte so während seiner Europa-Tour auf umweltfreundlichere Transportmittel umschwenken. Das Gleiche gilt für den Luxemburger Tub Biever und seine Indie-Band Tuys.
„Wir haben Grün Unterwegs durch ein anderes pan-europäisches Programm entdeckt, an dem wir teilgenommen haben, der Initiative Pop“, antwortet Biever auf die Frage, wie er von der Förderung erfahren habe.
Tuys nutzte die Fördermittel, um die erste Headline-Tour der Band im UK zu buchen. „Das Geld floss sozusagen als Ganzes in die Tour und war ein Anreiz, umweltfreundliche Entscheidungen zu treffen“, erklärt er. „So konnten wir uns für die umweltfreundlichsten, aber auch leider teureren Verkehrsmittel entscheiden und beispielsweise die Fähre nehmen, anstatt mit dem Auto zu fahren.“
Biking for Change
Manchmal bedarf es kleiner Schritte, um etwas Großes zu bewirken. Um den eigenen CO2-Fußabdruck auf der Straße zu minimieren, muss man nicht zwangsläufig mit dem Fahrrad zu den eigenen Gigs fahren, sich einer pan-europäischen Initiative anschließen oder ein umweltfreundliches Sound-System erfinden. Manchmal reicht schon ein Gespräch mit anderen Bandmitgliedern, der Crew und den Veranstalter*innen aus, um etwas Größeres zu bewirken.
© Pierre Andrieu
„Wir ziehen diesen Aspekt ständig in Betracht und hinterfragen uns selbst sehr oft“, antworteten The Psychotic Monks auf die Frage nach ihrer Vorgehensweise beim Green Touring. Die französische Band erregte die Aufmerksamkeit von Europavox, als sie 2021 bei unserem Festival in Clermont-Ferrand auftrat – mit speziellen „grüneren“ Bedingungen in ihrem Rider.
„Wir versuchen beispielsweise, das Fliegen zu vermeiden, es sei denn, es gibt keine andere Möglichkeit. Und wir versuchen, einzelne Gigs mit langer Anreise zu vermeiden. Auch unseren Rider haben wir angepasst, so dass für uns keine Plastikprodukte mehr eingesetzt werden müssen. Auch unterwegs vermeiden es, Wasserflaschen aus Plastik zu kaufen, und – aber das ist eher ein persönliches Ding – wir sind Vegetarier bzw. Veganer und bestellen nur Catering ohne Fleisch. Künstler*innen tragen eine große Verantwortung. Wenn sie sich gemeinsam für solche Themen engagieren, können sie ein starkes Zeichen setzen.” Und das heißt, dass es auf einem toten Planeten keine Musik gibt.