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EUROSONIC 2022: Die Highlights des Festivals

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EUROSONIC 2022: Die Highlights des Festivals

Im 36. Jahr fand das renommierte Festival mit angeschlossenem Konferenzprogramm in Groningen nun schon zum zweiten Mal in Folge vornehmlich digital statt – vom 19. bis zum 22. Januar 2022.

Die Musik-Community vermisst Live-Events mehr denn je. Keine Überraschung nach zwei Jahren Pandemie und entsprechenden Einschränkungen. Dass der Kultursektor wieder öffnen muss, also zum normalen Betrieb zurückkehren, wurde beim Eurosonic Noorderslag  erneut deutlich. Bei dieser zweiten digitalen Ausgabe verzeichnete die Organisation einen Rückgang der Besucher*innen um 25 %,. Kein Anlass, unzufrieden zu sein. Es belegt vielmehr, dass ein großer Teil des Publikums zum Live-Erlebnis zurückkehren möchte.

„Building Back Better, Together“

Wie sich in einem Großteil der Panels widerspiegelte, herrscht große Zuversicht, dass das Ende der Pandemie in Sicht ist. Schon deshalb ist ein guter und langfristiger Plan für den Wiederaufbau der Szene erforderlich. Die Konferenz konzentrierte sich auf eine Vielzahl interessanter Themen, die die Zukunft beeinflussen und gestalten können, wie z. B. Nachhaltigkeit, Inklusivität und gerechte Entlohnung. Die Tatsache, dass viele Delegiert*innen dennoch an der digitalen Konferenz teilnahmen, unterstreicht die Wichtigkeit der Plattform uns seines angeschlossenen Netzwerkes.

Das ESNS ist eines der größten Showcases für neue Musik mit den vielversprechendsten Acts aus unterschiedlichsten Ländern. Als digitales Format bleibt es ein Ort der Kreativität und ein Zufluchtsort für Fans und Musikprofis, um Gleichgesinnte zu treffen und zahlreiche aufstrebende und großartige Acts zu sehen (mehr als 200 dieses Jahr). Aktuell sind Live-Streams dabei praktisch die einzige Option. Doch das in ein Festival-Format zu gießen, ist alles andere als einfach. Die Übertragung dieses alles bestimmdenden Elements des Live-Erlebnisses – also die Interaktion und das Gefühl, „dabei zu sein“ – war zum wiederholten Mal eine Mammutaufgabe.

Ein komplettes Festival

Es ist den Organisator*innen auch 2022 wieder gelungen. Mit meistens zehn- bis fünfzehnminütigen Auftritten, die in kürzester Zeit in ganz Europa und teilweise auch vor Ort in Groningen aufgenommen wurden.

Und hier sind die Acts, die unsere Aufmerksamkeit gewinnen konnten:

Anna (Italien)

Musikalisch komplex, textlich provokativ, ungestüm und doch ausgefeilt: Anna Pepe wurde 2003 in La Spezia geboren und kam schon sehr früh mit Musik in Berührung. Anfang 2020, nach dem viralen Online-Hit „Bando“, erhielt die Rapperin schnell einen Plattenvertrag bei Virgin Records. Seitdem veröffentlichte sie verschiedene Remixe und Smash-Hit-Singles wie „Drippin’ in Milano“. Annas brachiale Beats und furchtlose Synthesizer vervollständigen ihre Fähigkeiten als Rapperin – und vervollständigen ihr kalkuliertes Popstar-Finish.

Anushka Chkeidze (Georgien)

Die georgische Elektronikkünstlerin machte erstmals mit ihrem Debüt „Halfie“ im Jahr 2020 auf sich aufmerksam. Ein Jahr später folgt ihr zweites Album „Move 20-21“, das sie in reifere und experimentellere IDM-Pfade führt. Auf der „Bühne“ des ESNS, Anushka hat ein elektrisches, hypnotisierendes Set aufgebaut, das über die etablierte Ästhetik des Genres hinausgeht und geschickt durch Vintage-Ambient-Techno, scheppernde Beats und Tracks führt, die eine Hommage an Aphex Twin und Sven Väth aus den späten 90ern sind. 

ascendant vierge (Belgien / Frankreich)

Seit 2019 arbeiten die Goth-Pop-Sängerin Mathilde Fernandez und Paul Seul, Produzent und DJ von Casual Gabbers, unter dem Pseudonym ascendent vierge zusammen. Ende 2020 erschien dann ihre erste EP, „Vierge“. Fernandez‘ Gothic-Sensibilität und barocker Gesang, der an exzentrische Persönlichkeiten wie Diamanda Galas und Nina Hagen erinnert, setzen einen einzigartig dunklen und ätherischen Ton, der von Seuls komplexen Synthesizern betont wird.

BSÍ (Island)

Unsere Kollegin Cheryl Ang beschrieb sie als „unapologetisch rohe Pop-Punk-Sozialkriegerinnen“, und genau das sind sie auch. Das Duo aus Silla Thorarensen und Julius Rothlaender reitet auf der Welle der innovativen und unkonventionellen neuen Musik, die zur Zeit aus Reykjavík kommt. Ihr Debütalbum mit dem vielsagenden Titel Sometimes depressed … but always antifascist“ wurde Mitte 2021 veröffentlicht. Der Charme dieses LP basiert gleichermaßen auf Low-Fi-Punk und Wohlfühl-Indie-Pop.

shishi (Litauen)

Das litauisches Trio beschäftigt sich mit sparsamen und erhebenden Indie-Pop-Rock-Atmosphären –  voller Surf-Rock-, Soul-, Rap- und Punk-Zutaten, die alle auf eine ansteckend lustige Art und Weise gemischt sind. Die Band präsentierte sich 2017 zum ersten Mal einem Live-Publikum und hat seitdem zwei Alben und eine EP, „Vilniaus Skaičiuotės“ (2021) veröffentlicht. Ihre Musik beweist, dass der schnelle Wechsel von Pop zu Krawall zu ihnen passt. Anstatt gehetzt zu wirken, fühlen sich ihre Songs spontan und furchtlos an.

Meskerem Mees (Belgien)

2021 war ein gutes Jahr für die in Äthiopien geborene und in Belgien lebende Singer/Songwriterin. Ihr Debütalbum „Julius“ wurde von der Kritik hoch gelobt – und obendrein gewann sie den prestigeträchtigen Montreux Jazz Talent Award. 2022 ist wieder ein gutes Jahr für die Indie-Folk-Künstlerin. Sie gewann den Grand Jury MME Award während des ESNS. Eigenwillig, poetisch und entwaffnend, erinnert die sanfte Indie-Folk-Künstlerin an die Songkunst von Bob Dylan und Joni Mitchell.

Neptunian Maximalism (Belgien)

Dieses Kollektiv steht für chaotische und doch präzise kontrollierte Orchestrierung. Dem Projekt gelingt es, ihren Sound immer breitwandiger zu gestalten, ohne dabei lauter oder leiser zu werden. Noten oder Algorithmen? Alles geht, alles ist möglich. Aktuell klingt das wie Industrial-Psychedelic-Prog-Drone-Jazz. Das Projekt selbst beschreibt sich als Band, die „versucht, durch eine musikalische und soteriologische Erfahrung ein Gefühl der Akzeptanz des Endes der „Anthropozän“-Ära zu schaffen“.

Priya Ragu (Schweiz)

Mit den Worten unseres Berliner Korrespondenten Dan Cole: Priya Ragu ist ein „einzigartiger, Schweizerisch-sri-lankischer R&B-Star, die sowohl auf Englisch als auch auf Tamil singt“. In der Tat ist die Künstlerin etwas Besonderes –  ihre Musik zelebriert eine bunte Mischung aus Instrumenten, die ihre südindischen Wurzeln zum Vorschein bringt und sie mit einer Vielzahl westlicher Einflüsse und einer zeitgenössischen Mischung aus unzähligen Stilen und Genres verbindet: HipHop, R&B, afrikanische und karibische Klänge und viele mehr.

Sharktank (Österreich)

Wer sagt denn, dass ein Lockdown schlecht ist? Im Fall der dieser österreichischen Newcomer entpuppte er sich als wirklich kreative Zeit. Das Trio, bestehend aus Mile, Katrin Paucz und Marco Kleebauer, wurde während der Pandemie gegründet u– mit Fokus auf Indie und HipHop. Sharktank verbinden all dies mit Elementen von Retro-Pop und Funk, die die Spontaneität und den Spaß an ihrem kreativen Prozess unterstreichen.

Wet Leg (Vereinigtes Königreich)

Rhian Teasdale und Hester Chambers von der Isle of Wight bringen mit Hits wie Chaise Longue einen erfrischenden Sinn für Spaß in den Post-Punk – mit absichtlich verwegenen Gitarren, Schlagzeug und wirklich witzigen Texten. Zwei Songs (aber was für Songs!) machten dieses Duo zu einer Indie-Sensation – mit zahllosen Platzierungen in den „Best of 2021“-Listen. Dabei war ihr Album zu diesem Moment noch nicht mal veröffentlicht: Im April 2022 soll es soweit sein.