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Eurosonic 2023: alte Grenzen raus, neue Acts und Styles rein

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<strong>Eurosonic 2023: alte Grenzen raus, neue Acts und Styles rein</strong>

Europas wichtigstes Showcase-Festival ist wieder da

Eurosonic ist bekannt dafür, neuen Talenten vor ihrem großen Durchbruch eine Bühne zu geben. Will man der Zeit voraus sein, ist das Festival also der perfekte Ort. Nach Pandemie-bedingter Pause fand das Eurosonic 2023 endlich wieder statt – mit Showcases von über 300 Künstler*innen aus 39 europäischen Ländern, verteilt auf vier Tage. In den zahlreichen Venues in Groningen wurde die musikalische Marschroute für das kommende Jahr vorgegeben. Dabei wurden einige Dinge mehr als deutlich: Musiker*innen interessieren sich immer weniger für Genres und Grenzen. Die Szene ihrer Heimatländer bleibt wichtig, definiert sie Bands und Projekte aber nicht mehr. Es geht vielmehr um eine paneuropäische Identität in der Musik.

Europavox war die ganze Woche über vor Ort. Wir haben Kroketten gegessen, sind von einem Veranstaltungsort zum nächsten gelaufen und haben versucht, die Talente von morgen ausfindig zu machen. Obwohl es unmöglich war, alles zu sehen, haben wir es geschafft, unsere Favoriten des diesjährigen Festivals auszuwählen. Hier ist unsere Top 10.

© Zep

Naaz

Als Gewinnerin des „Music Moves Europe (MME) Public Choice Award 2020“ ein von der EU ausgeloteter Preis, der an die besten neuen Talente des Kontinents verliehen wird begeisterte die niederländisch-kurdische Musikerin mit ihrem „Quirk-Pop“. Mit kompletter Backing-Band –  in maßgeschneiderte Seidengewänder gekleidet und den Charme eines Nomadenstammes ausstrahlend, hauchte Naaz mit ihrer Performance ihren eigenen Songs mit Streichern, Keys und Gitarren neues Leben ein. Mit der Stimme eines Engels rockte Naaz die Tracks ihrer aktuellen LP „Never Have I Ever“ und änderte den Text ihrer Single „Azadî“ zu Ehren von Jina Mahsa Amini, der 22-jährigen Iranerin, die 2022 von der iranischen Sittenpolizei ermordet wurde.

KoiKoi

Die für die MME Awards 2023 nominierte serbische Psych-Rock- und Shoe-Gaze-Pop-Band ist live wahrlich beeindruckend. Dynamische Riffs, Synthesizer und Bass, mit wundervoll umgesetzten Harmonien. Kämen Fleetwood Mac aus Belgrad, könnte man KoiKoi durchaus als die Fleetwood Mac des 21. Jahrhunderts bezeichnen. Mit ihren Texten in serbischer Sprache verleiht die Band der Musik zusätzlichen Schwung und Energie, um die Bedeutung der Worte zu unterstreichen. Gegen Ende des Sets stürzte sich Sänger und Gitarrist Marko Grabež ins Publikum, schredderte los und sang von Angesicht zu Angesicht mit der Crowd. Wer muss bei so viel Engagement schon Texte verstehen? Zum Abschluss des Sets spielte die Band den mitreißenden New-Wave-Song „Misisipi“, eine echte Hymne, die in den Ohren der Zuschauer*innen noch lange nachhaltte.

© Persco Ronde Zaal

Bulgarian Cartrader

Der in Berlin lebende bulgarische Musiker spielt und experimentiert mit osteuropäischen Stereotypen – und legte damit eine der einnehmendsten und lustigsten Performances des gesamten Festivals hin. Bekleidet mit einer Retro-Motorradjacke und mit einem Ushanka-Hut tanzte der Bulgare mit der Menge und performte u.a.  seine Hits „Golden Rope“ (bis heute über 1,9 Millionen Streams auf Spotify), „LAB“ und „Camden Free Public Library“. Cartrader ist viel mehr als ein Gimmick. Seine Hooks und Songs sind killer. Es ist also nicht zu befürchten, dass aus ihm wirklich ein Autohändler wird.

Svaneborg Kardyb

Das Setting hätte nicht passender sein können. Svaneborg Kardyb – erst kürzlich Europavox-Band des Monats – spielten ihre Show in der Akerk, der mittelalterlichen Kirche der Stadt am  Fischmarkt. Fast klassisch, mit üppigen Rhodes-Sounds und zarten Progressionen erklang das minimalistische Werk des Duos geradezu himmlisch im Kirchenschiff. Das preisgekrönte Ambient-Jazz-Duo spielte (sic!) mit der Location, um die atmosphärischen Melodien voll zur Geltung zu bringen. Exquisite Timbres, subtile Drums und präzise Rhythmik – genau wie sie auf dem unglaublichen 2022er-Album „Over Tage“ zu hören sind –, hallten zwischen den Kirchenbänken. Sehr angemessen. Transzendenz!

Zouj

Der deutsche Elektronik-Surrealist Zouj kreiert mit seiner Liebe für Synths und Bässe die Zukunft – ob als P-Funk oder Trap. Ist das der Pop der Zukunft? Auch toll: Dieser Mann weiß wirklich, wie man Slap-Bass spielt! Mit Tracks seiner aktuellen EP „Met4l auf dem Berliner Label City Slang begeisterten Zouj und seine Tight-Funk-Backing-Band das Publikum im Palace mit ihrem ausgefeilten Stil, ihrer präzisen Performance und ihrer pop-tastischen Eleganz.

Alina Pash

Alina Pash hat bereits den Music Moves Europe Awards gewonnen. Beim Eurosonic zeigte das ukrainische HipHop-Kraftpaket, wie und warum sie sich weltweit einen Namen erarbeitet hat. Nahtlos verschmelzen hier Rap, Pop und Folk – die fesselnde, bühnenwirksame und politisch stark aufgeladene Performance (#SlavaUkrayíni) war gespickt mit einigen der größten Hits der Künstlerin, darunter „BOSORKANYA“ und der Electro-Pop-Song „BITANGA“. Pash hat das geschafft, was vielen Künstler*innen schwerfällt: Sie hat ihr musikalisches Erbe in einen modernen, weltweit populären Stil integriert, ohne dabei ihre Identität oder ihren Erfolg zu kompromittieren.

© PersonalTrainer

Kids Return

Die Mischung aus French-youth, Synth-Pop und Chanson war schon immer etas Besonderes. Genau in dieses Phänomen passt das Pariser Duo Kids Return – mit luftigen, sommerlichen und melancholischen Pop. Kids Return – Adrien Rozé und Clément Savoye – verzauberten das Eurosonic mit ihrer mega-schicken Backing-Band mit den Hits ihres Debüt-Albums „Forever Melodies“: Lo-fi, analog und ansteckendend Das französische Duo, als verdiente Gewinner der diesjährigen MME-Awards, hat mit seinem mitreißenden Konzert im Huize Maas seine Anziehungskraft bewiesen.

Fran Vasilić

Dass sein Gitarrist leider nicht dabei sein konnte, war eigentlich egal. Der Gig des smarten Künstlers war on point – das gesamte News Café sang seine Alt-Pop-Indie-Hymnen mit. Das galt natürlich auch für den großen Hit „Hypotheticals“ des musikalisch-verführerische Magier. Einige der gefühlvolleren Oden seiner letzten EP „The Very Last Thoughts on Earth“ rundeten das Set ab.

Σtella

Bei Europavox haben wir die griechische Singer-Songwriterin Σtella befindet schon lange auf dem Radar. Umso mehr hat es uns gefreut, als sie Anfang 2022 einen Vertrag bei Sub Pop unterschrieb. Σtella spielte Songs aus ihrem aktuellen Album „Up and Away“ und vermischte dabei melodischen Post-Punk-Indie mit traditionellen griechischen Folk/Pop-Melodien. Mitreißend, gefühlvoll und mit Groove vorgetragen Σtellas Musik verdient es, nicht nur gehört, sondern auch gesehen zu werden.

November Ultra

Die französische Singer-Songwriterin spielte ihren Gig in der Lutherse Kerk – und „umarmte“ diese Kulisse mit – Holzstühle! – mit ihrem sanften und zarten Gesang und ihren wunderschönen Liedern. Mit sanftem Zupfen auf ihrer Gitarren und melodischen Synthesizer-Arrangements fesselte die Pariserin das Publikum  mit ihrer charmanten und einzigartigen Herangehensweise an den Cinematic-Folk und Left-of-Centre-Pop.